Das Jahr 2020 neigt sich dem Ende zu. So ist es an der Zeit, einen Blick zurück zu werfen und zu denken: „Oh je, was mache ich nur mit meinem Leben“. Das ist ganz normal. Aber gerade dieses Jahr hat uns einige Veränderungen in unserem Spielverhalten aufgezwungen.
Angesichts der weltweiten Pandemie, die immer noch wütet, haben die meisten von uns wohl viel weniger Spiele von Angesicht zu Angesicht gespielt als normalerweise.
Was also tun?
Wie ihr hier am Blog gelesen habt, habe ich dieses Jahr ein bisschen mehr Solo gespielt, bzw. die Menschen in meinem direkten Umfeld zwangsverpflichtet. Im April wurde ich eingeladen, an einer Online-Kampagne von Dungeons and Dragons teilzunehmen, die über Discord gespielt wurde. Das funktioniert prima. Seitdem haben wir so ziemlich jede zweite Woche gespielt; gute Sache. Kriegsspiel-ähnliche Spiele funktionieren auch hervorragend über Discord oder ähnliche Software (wie TooFatLardies und andere eindrucksvoll gezeigt haben), oder sogar einfach nur per E-Mail. Gerade letzteres hat natürlich eine lange Tradition, und es funktioniert auch absolut fein.
Tabletopspiele
Mit Tabletop-/Figurenspielen wird es natürlich ein bisschen kniffliger. Vor ein paar Monaten hatte Cpt.Shandy an einem Spiel von Sharp Practice bei Virtual Lard teilgenommen und war ziemlich beeindruckt, wie gut es sich spielte. Natürlich war er begierig darauf, seine Erfahrungen zu teilen und seinen eigenen Tisch für virtuelles Wargaming einzurichten.
Martin, mit dem ich u.a. schon Rangers of Shadowdeep gespielt habe, und ich meldeten uns freiwillig für einen Testlauf von Cpt.Shandys virtuellem Spieltisch. Wir trafen uns in einem Discord-Kanal und bekamen ein Zwei-Kamera-Setup präsentiert.
Vorarbeit
Die Rollen, sowie unser Briefing, eine Karte des Gebietes und allgemeine Infos wurden uns zwei Tage vorher zugeschickt. Das Szenario basiert auf einer kleineren Aktion bei New Bridge, die am 24. Mai 1862 stattgefunden hat. Martin schlüpfte in die Rolle der konföderierten Verteidiger (5. Louisiana) unter Col. Theodore Hunt, ich übernahm das Kommando über die Unionsstreitkräfte (4. Michigan) unter Col. Dwight Woodbury, die den Fluss überqueren und das konföderierte Lager einnehmen sollten. Zu meiner Truppe gehörte unter anderem ein gewisser Lt. George A. Custer. Historisch gesehen machte seine Leistung bei dieser Aktion höhere Stellen auf den jungen Offizier aufmerksam und legte den Grundstein für seine spätere legendäre Karriere.
Wenn ihr mehr über dieses Unternehmen, Details zum Szenario und den historischen Verlauf lesen möchtet, könnt ihr hier das exzellente Begleitstück zu diesem Artikel hier lesen: https://www.stauchendiciler.com/
Geschrieben von Cpt.Shandy, der sich mit vielen Dingen auskennt, aber ganz besonders mit dem amerikanischen Bürgerkrieg.
Die verwendeten Regeln sind natürlich Sharp Practice von Too Fat Lardies. Die Figuren sind, wie üblich, alle aus Cpt.Shandy’s 15mm Sammlung. Die kaputte Brücke wurde erst in der Nacht zuvor fertiggestellt.
Ich werde nicht zu sehr ins Detail gehen, was das Spielgeschehen selbst angeht und mich mehr auf die Erfahrung des Online-Spiels konzentrieren. Zum generellen Ablauf: Cpt.Shandy leitet das Ganze, zieht Karten, bewegt Figuren und so weiter. Martin und ich geben Befehle und würfeln. Für uns beide war es schon eine Weile her, seit wir das letzte Mal Sharp Practice gespielt haben, daher gab es am Anfang ein paar Regelfragen, aber im Laufe des Spiels lief es immer reibungsloser.
Das Spiel
Das Lager der Konföderierten befindet sich auf der linken Seite des Flusses, mein eigener Aufstellungspunkt auf der rechten Seite. Zu Beginn stellt Martin eine Linie von drei Gruppen Infanterie auf, ich wiederum stelle zwei Gruppen in offener Kolonne auf.
Was mein Gegner nicht weiß: ich habe einen zweiten, geheimen Deployment Point weiter unten am Fluss, der Custers Flankenmanöver darstellt. Mein Plan war es, einen kleineren Teil meiner Streitkräfte an meinem Deployment Point aufzustellen, den Feind ein wenig anzulocken und dann den Hauptteil meiner Streitkräfte vom versteckten Aufstellungspunkt aus aufzustellen und so schnell wie möglich in die Flanke des Feindes zu marschieren.
Ich hatte allerdings nicht erwartet, dass die Konföderierten so aggressiv sein würden. Innerhalb von zwei weiteren Runden ist die Brücke von zwei weiteren Infanteriegruppen zugemacht (der Wald blockiert die Sichtlinie) und konföderierte Plänkler überqueren den Fluss. Ich sehe mich gezwungen, meine eigenen Plänkler (unter dem Kommando von Custer) einzusetzen.
Im Feuergefecht zwischen unseren Plänklergruppen gewinnen meine Kerle die Oberhand und drängen die feindlichen Plänkler über den Fluss zurück.
Alles schön und gut, aber jetzt überquert die Hauptlinie des Feindes den Fluss und hält direkt auf Custer und seine Jungs zu! Sie beschließen jedoch, sitzen zu bleiben und noch ein paar Schüsse auf die feindlichen Plänkler abzugeben. Ich hatte gehofft, die wenigen verbliebenen Plänkler in die Flucht zu schlagen, ihren Anführer (2nd Lt. Adolph Steinmark) auszuschalten und die Moral der feindlichen Truppe zu senken. Der Beschuss richtet jedoch leider kaum Schaden an, und im Nachhinein betrachtet hätten Custer und seine Plänkler viel schneller von dort verschwinden sollen. Sie kassieren eine Salve von der feindlichen Linie, erleiden mehrere Verluste und eine Menge Schock.
Das aggressive Verhalten des Gegners sowie mehrere (3) bereitliegende Kommandokarten zwangen mich, meine vier verbliebenen Einheiten zusammen mit Col. Woodbury und seinem Sergeant am regulären Deployment Point aufzustellen. Versteckter Deploment Point und taktische Gerissenheit hin oder her. Das 4.Michigan ließ (mit Hilfe der 3 Kommandokarten) eine krachende Salve los, die sowohl der gegnerischen Linie als auch Custer und seinen armen Plänklern viel Schaden zufügte, die sich vor lauter Schreck so schnell wie möglich aus dem Staub machten:
Die Formation der Konföderierten bricht auf, einige Männer ziehen sich in den Fluss zurück, aber insgesamt halten sie. Leider ist meine eigene Infanterie so begeistert vom Effekt, dass sie stehenbleiben und wild weiterfeuern anstatt nachzusetzen. Bald bildet sich eine dichte Wolke aus Pulverdampf vor ihnen.
Ich versuche Roses zwei Infanteriegruppen nach vorne zu schicken um endlich diese Plänkler auszuschalten oder auf irgendeine Weise mehr Druck zu erzeugen, aber sie werden von den zwei frischen konföderierten Gruppen an der zerstörten Brücke mit einer Musketensalve empfangen und hinter den Wald zurückgeschickt. In der Zwischenzeit schafft es die erschütterte konföderierte Linie in relativ guter Ordnung zurück über den Fluss. Ihre Offiziere beginnen sofort, die Formation wieder in Form zu bringen. Ich tue das gleiche an meinen Flanken (Custers verbliebene Plänkler und Roses Infanterie).
Schließlich schafft es Woodbury, seine Blauröcke ans Flussufer zu treiben, um den Feind noch einmal zu bekämpfen. In einem leicht übermütigen Zug bestehe ich darauf, eine ordentliche Linie direkt am Flussufer zu bilden, so dass sie zurnächsten Aktivierung reichlich Aktionen haben, um ordentlich anzulegen und effektiver zu feuern. Der Feind ist wieder in Form und schneller am Abzug, meine Jungs nehmen eine Menge Verluste. Da Martin seine punktuelle Übermacht sieht (auch wenn sie nur gering ist), formiert er seine verbleibenden zwei Infanteriegruppen zusammen mit der Linie, um eine große Feuerlinie entlang des Flusses zu bilden.
Die Konföderierten haben die Initiative und einen großen alten Schwerpunkt auf ihrer Seite, und das Spiel läuft im Wesentlichen auf einen Schlagabtausch über den Fluss hinaus. An diesem Punkt beschließen wir, das Spiel zu beenden, der Schiedsrichter krönt die Konföderierten zum Sieger, denn eine Flussüberquerung der Union scheint zu diesem Zeitpunkt unwahrscheinlich.
Ein lustiges Spiel, denn es ist Sharp Practice, und das macht immer Spaß. Ich habe hier und da einen Fehler gemacht, und vielleicht war die Situation, eine krachende Salve zu bekommen, ein bisschen zu verlockend, als dass sie es wert gewesen wäre, aber nun gut.
Eindrücke
Nun zum Spielerlebnis. Es war auf jeden Fall interessant. Ein paar Vor- und Nachteile des Spielens über Discord:
Nachteile:
– Für Spieler ist es nicht so einfach, den Überblick zu behalten oder Entfernungen abzuschätzen. Mehrere Kameras können aber bei ersterem helfen und mit der Zeit entwickelt man ein „Auge“ für die Entfernungen.
– Es mindert den sozialen Aspekt ein wenig.
– Alles dauert länger.
– Die Technik ist heikel, man muss ein bisschen rumprobieren, bis alles klappt. Außerdem: Es ist wirklich nicht einfach, derzeit preisgünstige Webcams zu bekommen.
Vorteile:
+ Besser als gar nicht zu spielen, oder?
+ Die physische Trennung gibt dem Spiel tatsächlich ein etwas anderes Gefühl. Fast ‚realistischer‘, vor allem wenn es sich um größere Spiele handelt. Wenn meine Schusslinie auf ‚unkontrolliertes Feuer‘ ging und sich nicht bis zum Fluss bewegte, hatte ich das Gefühl von ‚was machen die da drüben? Ich habe ihnen doch gesagt, dass sie vorrücken sollen!‘ ist noch stärker als wenn man physisch anwesend ist. Mit den Figuren direkt vor sich hat man immer noch das beruhigende Gefühl, dass man diese Figuren einfach aufheben und bewegen könnten. Das einzige, was Ihnen das verbietet, sind die Regeln. Aber durch eine Webcam ist das Gefühl viel ‚realer‘, weil es einfach keine Möglichkeit gibt, diese Figuren dazu zu bringen, das zu tun, was man gerade von ihnen will. Es ist eher so, als würde man auf einem Hügel sitzen und die Schlacht durch ein Fernrohr betrachten.
+ Es gibt einige Dinge, die man mit digitalem Spiel machen kann, die man nicht machen kann, wenn alle physisch am Tisch anwesend sind. Über Direktnachrichten kann der Schiedsrichter den Spielern kleine Hinweise geben und so weiter. Es gibt da eine Menge Potenzial für Dinge wie Informationen, die nur mit einer Seite geteilt werden, und so weiter. Man könnte das Sichtfeld eines Spielers irgendwie einschränken, indem man eine Schablone über die Webcam legt, den Informationsfluss durcheinander bringen, und so weiter. Natürlich sprengt dies den Rahmen von Sharp Practice und geht viel mehr in Richtung Kriegsspiel oder sogar Simulation, aber es gibt da schon einige interessante Möglichkeiten.
+ Es gibt die Möglichkeit, mit Menschen auf der ganzen Welt zu spielen. Das ist schon sehr eindrucksvoll, wenn man sich’s mal überlegt.
Allgemeine Überlegungen
Ich bin davon überzeugt, dass es Dinge gibt, die Tabletop-Wargames gut machen und es gibt Dinge, die Computerspiele gut machen. Ich glaube nicht, dass das eine das andere ersetzen kann, weil sie unterschiedliche Dinge tun. Computer berechnen Ereignisse in Echtzeit und stellen sie auf so ziemlich jede Art und Weise dar, die man möchte. Das macht sie meiner Meinung nach großartig für die Simulation von bestimmten Situationen.
Miniatur-Wargames sehen einfach schön aus und fühlen sich gut an. Menschen mögen es, etwas in der Hand zu haben. Man fühlt die Textur des Basismaterials, das Gewicht der Figuren und einfach das Aussehen der Figuren auf einem Tisch, plus die direkte Interaktion mit Gleichgesinnten. Ein Computerspiel bekommt das so nicht hin. Seit dem Beginn der Pandemie erlebten Spiele wie der Tabletop Simulator und ähnliche Software einen Popularitätsschub. Ich habe nie ein großes Bedürfnis verspürt, solche Software zu benutzen. Ich spiele lieber ein Brett-oder ein Miniaturenspiel auf einem Tisch und ein Computerspiel auf einem Computer. Ich finde das Aussehen nicht besonders ansprechend und es fühlt sich ein bisschen wie „die zweite Wahl, wenn man halt sonst nicht spielen kann“ an.
Nun, wenn man mit Discord-Spiele mit einbezieht, die dritte Wahl. Ich muss allerdings darauf hinweisen, dass ich in dieser Hinsicht vielleicht ein bisschen seltsam bin. Eigentlich sollte jede Meinung, die ich hier poste, unter diesem Gesichtspunkt betrachtet werden. 😛 Natürlich ist Tabletop Simulator und Ähnliches eine gute Möglichkeit mal etwas Neues auszuprobieren und so weiter, aber für mich persönlich hat es bisher wenig Appeal.
Ich denke, dass die Wahl der zu verwendenden Regeln ziemlich entscheidend dafür ist, wie gut das Spiel funktioniert. Spiele, die zum Messen von Bewegung und Distanzen Felder, Zonen oder Hexfelder verwenden, funktionieren natürlich besser, da komplett freie Bewegung knifflig ist, wenn man die Figuren nicht einfach greifen und dorthin stellen kann, wo man sie haben will. Die Art und Weise, wie Bewegung in Sharp Practice funktioniert, ist jedoch ziemlich gut für diese Spielweise geeignet. Die Spieler sagen an, wohin sich die Einheit bewegen soll, dann würfeln sie, um zu sehen, wie weit sich die Figuren bewegen dürfen. Das klappt gut über’s Internet.
Als Beispiel dafür, was ein Computerspiel leisten kann, was man auf einem Tabletop nicht erleben kann, möchte ich ein Spiel erwähnen, möchte ich Squad erwähnen. Ich hab’s nicht oft gespielt, und will nicht zu sehr ins Detail gehen. Squad (50v50 Spieler, Online-Multiplayer) stellt fiktive, moderne Gefechte zwischen regulären Streitkräften dar. Es hat einen relativ starken Simulationsanteil und baut sehr stark auf die Kommunikation zwischen den Mitgliedern der einzelnen Gruppen und vor allem den Anführern, die ständig Informationen aus dem Squad an die übergeordneten Stellen weitergeben und empfangen. Es ist eine hektische Angelegenheit; sehr beeindruckendes Zeug. Unmöglich, das auf einem Tabletop so darzustellen, aber aufschlussreich, wenn es darum geht, warum im Tabletopspiel die kleinen Spielzeugsoldaten nicht sofort das tun, was wir ihnen befehlen.
Es sind einfach verschiedene Dinge, für die es beides Platz gibt und die wunderbar nebeneinander existieren und sich gegenseitig ergänzen können.
Wird das Spielen von Tabletop-Wargames über Discord in Zukunft die Hauptart sein, wie ich spiele? Ich hoffe, dass es nicht das der Fall ist. Aber es ist cool, diese neue Option zu haben, von der wir inzwischen wissen, dass sie funktioniert. Es ist auch eine interessante Option für das Testen von Szenarien, Regeln, etc. und erlaubt es Leuten im Internet, an Spielen teilzunehmen. Das geht auch etwas weniger Verbindlich: Ich habe mehrere Leute auf Twitter gesehen, die ein Bild einer taktischen Situation auf ihren Spieltisch online gestellt haben und andere entscheiden ließen, was ihrer Meinung nach getan werden sollte. <So geht’s auch, und es ist eine recht niedrigschwellige Art und Weise ein Solo-Spiel aufzupeppen.
Danke an Cpt.Shandy für die Ausarbeitung des Szenarios, die Vorbereitung aller Dokumente sowie der zerstörten Brücke und für die Leitung des Spiels. Danke an Martin für das Spiel und dafür, dass er meine gut ausgearbeiteten Pläne durcheinander geworfen hat. 😉 Es war ein lustiges Spiel und eine sehr interessante neue Spielerfahrung.